Irgendwie fremd? Evaluation in der Wirtschaft

Interview mit Dr. Sonja Kind

Evaluation findet vor allem im non-for-profit-Bereich statt. Warum ist das eigentlich so? Mit Dr. Sonja Kind, wissenschaftlicher Mitarbeiterin am Institut für Innovation und Technik in der VDI/VDE-IT GmbH und Mitglied im Vorstand der DeGEval, habe ich für den PME-Blog über den schwierigen Stand von Evaluation in der Privatwirtschaft gesprochen.

Sonja Kind im Interview über Evaluation in der Wirtschaft

Evelyn: Liebe Sonja, ich danke dir, dass du dir die Zeit für ein Interview nimmst! Bitte erzähl doch zu Beginn kurz, was dein Hintergrund ist und wie du beim Thema Evaluation gelandet bist.

Sonja: Mein Weg hat mich eher zufällig zur Evaluation geführt. Als Diplom-Biologin habe ich interdisziplinär in Sozial- und Wirtschaftswissenschaften promoviert. Nach meinem Berufseinstieg in einer Unternehmensberatung bin ich vor nun schon über 15 Jahren zur VDI/VDE IT GmbH gekommen. Seitdem beschäftige ich mich mit Evaluation sowohl praktisch als Evaluatorin als auch organisatorisch durch meine Tätigkeiten bei der DeGEval – Gesellschaft für Evaluation e.V..

Bis 2019 war ich Co-Sprecherin des AK Evaluation in der Wirtschaft, dessen Ziel es ist, Evaluation im Wirtschaftskontext bekannt zu machen. Seit 2020 engagiere ich mich im Vorstand der DeGEval – Gesellschaft für Evaluation e.V.

Ein weiteres fachliches Standbein von mir liegt im Bereich Foresight sowie Innovations- und Technikanalyse, wodurch sich Schnittmengen zur ex ante Evaluation ergeben. In den letzten Jahren habe ich mich zum Systemischen Coach und Organisationsberaterin weitergebildet. Auch daraus ergeben sich immer wieder wertvolle Impulse für die Evaluation, z.B. für die Gestaltung von Workshops.

Evelyn: Mit deinen Tätigkeiten in der DeGEval und auch mit deiner Spezialisierung auf Innovations- und Technikanalyse hast du ja Einblicke in die Wirtschaft. Bitte beschreibe doch einmal, welche Rolle Evaluation hier bei uns in Deutschland aus deiner Sicht in der Wirtschaft spielt.

Sonja: Da fällt mir als erstes ein, dass diese noch deutlich zu gering ausgeprägt ist. Evaluation spielt in der Wirtschaft keine große Rolle. Leider. Dabei böte die Evaluation große Chancen für Unternehmen.

Meines Erachtens liegt da noch einiges an Potenzial brach. Überall dort, wo es um Effektivität und Effizienz in Unternehmen geht, böten sich Ansatzpunkte für Evaluation. Prozesse, Maßnahmen und Interventionen aller Art könnten in Betrieben zum Beispiel auf ihre Wirksamkeit und Nachhaltigkeit untersucht werden. Die dadurch gewonnenen Erkenntnisse könnten als Entscheidungsgrundlage für die Steuerung, Verbesserung bis hin zur strategischen Ausrichtung genutzt werden.

„Unternehmen und Evaluation stellt noch keine natürliche Verbindung dar.“

Evaluation könnte genau zu dem beitragen, worauf unternehmerisches Handeln zielt, nämlich Gewinnorientierung, den ökonomischen Einsatz von Ressourcen bis hin zur Steigerung des Return-on-Investments. Aber davon sind wir noch relativ weit entfernt, Unternehmen und Evaluation stellt noch keine natürliche Verbindung dar.

Evelyn: Wie erklärst du dir das, dass die Rolle der Evaluation in der Wirtschaft noch so unterentwickelt ist; dass es da keine natürliche Verbindung gibt?

Sonja: Das liegt wohl vor allem daran, dass das Konzept der Evaluation in der Wirtschaft kaum bekannt und Unternehmen auch nur schwer vermittelbar ist. Das fängt schon mit dem Begriff „Evaluation“ an. Für Fachfremde außerhalb der Evaluations-Community ist allein schon das Wort Evaluation teilweise sperrig auszusprechen und führt mitunter zu amüsanten Wortverdrehungen von Evolution bis Ovulation. Auch lässt sich Evaluation nicht so einfach in drei Sätzen erklären. Das kennen sicher alle unter uns Evaluierenden, die schon einmal versucht haben, auf einer Party zu erklären, was sie beruflich machen. Spätestens nach der Verwendung des Begriffs Evaluation wird der Blick des Gegenübers ins Wein- oder Bierglas gesenkt und ein verständnisvolles Hmm, Hmm gemurmelt. Als nächstes wird auf ein neues Gesprächsthema gelenkt. Es ist doch eher die Ausnahme, dass dann jemand sagt: Oh, das ist aber spannend. Erzähl‘ mal mehr.

Gleichermaßen schwer ist es, Unternehmen die Bedeutung und Relevanz von Evaluation zu erklären. Hier braucht es eine Art Elevator Pitch, mit dem sich in kürzester Zeit erklären lässt, was eine Evaluation ist und vor allem, was es dem Unternehmen nützt. Im Arbeitskreis Wirtschaft in der DeGEval haben wir dazu praxisorientierte Handreichungen erarbeitet. Der Leitfaden „Evaluation in der Wirtschaft“ ( https://www.degeval.org/arbeitskreise/wirtschaft/publikationen/) beschreibt kurz und bündig, wofür eine Evaluation in der Wirtschaft eingesetzt werden kann und wie ein typischer Ablauf ist. In einer weiteren Publikation wird anhand von kurzen Praxisbeispielen (https://www.degeval.org/arbeitskreise/wirtschaft/publikationen/) aufgezeigt, für was sich eine Evaluation im Unternehmen anbietet.

Doch auch die beste Handreichung nützt nichts, wenn sie beim Zielpublikum nicht ankommt. Wie man so schön sagt, der Wurm muss dem Fisch schmecken.

Evaluation wird in unternehmerischen Kontexten eher mit etwas assoziiert, das bürokratisch ist und in öffentlichen Institutionen eingesetzt wird. Und das ist ja auch nicht ganz falsch. Evaluation findet doch überwiegend in einen mit staatlichen Mitteln finanziertem Umfeld statt. Man denkt dabei eher an Universitäten, Schulen, Stiftungen und Behörden.

Dabei finden in Unternehmen durchaus auch Aktivitäten statt, die einer Evaluation entsprechen oder dieser zumindest nahekommen. Dort heißt es aber nicht Evaluation. Diese Aktivitäten subsumieren sich in Unternehmen unter einer Vielzahl von Begriffen wie Qualitäts-, Personal-, und Gesundheitsmanagement genauso wie Audit und Controlling. Auch bei der Unternehmensberatung und Organisationsentwicklung werden methodische Ansätze der Evaluation verwendet. Evaluation kommt in Unternehmen also eher in einem anderen Gewand daher.

Evaluation in der Wirtschaft – dem Fisch schmeckt der Wurm noch nicht so recht.

Hier stellt sich jetzt die Frage, wie wir als Evaluierende damit umgehen. Erklärt man den Unternehmen nun: „Das, was Ihr da macht, ist eigentlich Evaluation, bitte nennt das auch so.“ Oder, wenn es sich nur in Ansätzen um eine Evaluation handelt, dass das zwar alles schön und gut ist, was dort gemacht wird, dies mit einer „richtigen“ Evaluation aber eigentlich nichts zu tun hat.

Evaluation in der Wirtschaft – findet statt, aber unter anderen Labels? ((c) Chris Lysy)

Die Lösung kann wohl nur darin bestehen, Unternehmen dort abzuholen, wo sie stehen, und nicht auf das entsprechende richtige Wording zu bestehen. Im Zweifel sprechen wir besser im ersten Schritt von einer Performancemessung, wenn wir dadurch einen Zugang bekommen, um im zweiten Schritt die Vorgehensweise einer Evaluation mit ihren Ansprüchen an Transparenz, Nachvollziehbarkeit, Objektivität und Systematik sowie dem Einsatz wissenschaftlicher Methoden zu erklären und umzusetzen. Mir scheint, dass der Umweg durch die Hintertür am besten geeignet ist, um Unternehmen Evaluation nahezubringen.

Evelyn: Inwieweit könnten Unternehmen denn deiner Meinung nach davon profitieren, wenn sie mehr Ansätze von Planung, Monitoring und Evaluation aus dem non-for-profit Bereich übernehmen würden?

Sonja: Grundsätzlich können Unternehmen mit Hilfe von Evaluation Wirkung, Erfolg und Qualität ihrer Maßnahmen oder Strategien messen. Das kann im Nachhinein genauso wie begleitend oder prospektiv erfolgen.

Die Evaluation eignet sich für Unternehmen immer dann, wenn es um komplexe Fragestellungen geht, die sich nicht einfach mit den bewährten betriebswirtschaftlichen Instrumenten beantworten lassen. Auch wenn die Ursachen und Hintergründe für Entwicklungen verstanden werden oder frühzeitig Stärken, Schwächen oder gar Risiken antizipiert werden sollen, ist die Evaluation ein hervorragendes Instrument. Dabei können eben nicht nur betriebswirtschaftliche Ziele angestrebt, sondern auch nicht-monetäre Aspekte wie Nachhaltigkeit oder soziale Dimensionen wie Zufriedenheit, Lernerfolge, Hemmnisse usw. besser verstanden werden.

Ein besonderes Plus der Evaluation besteht meiner Meinung nach darin, dass auch nicht-intendierte Folgen erkannt werden können, was bei den üblichen Vorgehensweisen gerne hinten runterfällt. Außerdem gelingt es durch die spezifische Vorgehensweise bei der Evaluation, dass den Verantwortlichen Ziele bewusster werden oder diese überhaupt grundlegend geklärt werden.

Oft geht im Prozess der Evaluation auch ein Lernen in der Organisation einher, was ja generell ein schwieriges Unterfangen ist. Gerne gewünscht, aber schwer umgesetzt. Gerade hier kann eine Evaluation einen wertvollen Beitrag leisten.

In der Regel werden auch verschiedene Stakeholdergruppen im Prozess der Evaluation beteiligt, das stärkt die Akzeptanz der Ergebnisse und erleichtert die Umsetzung von Handlungsempfehlungen.

Evelyn: Das sind alles sehr gute Argumente, die sich ja in anderen Politikfeldern wie etwa der Entwicklungszusammenarbeit schon sehr weit verbreitet haben und allgemein akzeptiert sind. Was sind denn neben dem oben genannten Problem, dass das Konzept „Evaluation“ erst mal für Außenstehende nicht so zugänglich ist, noch weitere Hürden?

Sonja: Eine Hürde ist natürlich, dass es aufwendig ist. Eine Evaluation will gut vorbereitet und begleitet werden. Selbst wenn ein Dienstleistungsauftrag nach Außen gegeben wird, müssen sich innerhalb des Unternehmens doch eine ganze Menge Leute damit auseinandersetzen. Doch so ist das nun mal, nichts ist umsonst und wenn ich etwas ändern will, muss ich vorher Energie aufbringen. Es lohnt sich immer für Unternehmen, fundierte Entscheidungen zu fällen oder zu erfahren, ob Maßnahmen auch die gewünschte Wirkung erzielen. Das spart am Ende Geld.

Insgesamt gibt es also eine Menge Möglichkeiten für Unternehmen von den PME-Ansätzen aus dem non profit Bereich zu profitieren.

Evelyn: Kannst du vielleicht aus deiner Erfahrung als Evaluatorin und als Beraterin ein, zwei good-practice Beispiele für den Einsatz von Evaluation in Wirtschafts-Unternehmen nennen?

Sonja: Eher bekannt sind sicher die Bewertung von Personalentwicklungsmaßnahmen oder Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit. Das heißt dann aber, wie gesagt, in der Regel nicht Evaluation, sondern läuft meistens unter anderen Begriffen, wie Überprüfung, Beratung, Resonanzanalyse, Qualitätskontrolle usw..

Da sich Evaluation sehr gut für komplexe strategische Fragestellungen eignet, ist mein Lieblingsbeispiel die Evaluation der Gesamtstrategie und Organisationsstruktur durch eine unabhängige Peer Group aus Expertinnen und Experten. Das ist besonders gut für den Mittelstand geeignet, da sich kleinere Unternehmen in der Regel Unternehmensberatungen nicht leisten können und diese auch mit Leuten zusammenarbeiten wollen, die das Unternehmen im Detail verstehen. Der Clou ist, dass hier eine ehrenamtliche Fachkommission tätig wird, welche die Strategie, Prozesse und Strukturen des Unternehmens bewertet. Die Personen können z.B. aus dem Umfeld des Unternehmens kommen, das könnten auch pensionierte Managerinnen oder Manager anderer Firmen sein . Die Arbeit der Fachkommission wird durch ein internes Evaluationsteam unterstützt. Die Evaluation beginnt mit einem Zielworkshop, dem dann Interviews mit Mitarbeitenden aus verschiedenen Organisationseinheiten und auf verschiedenen Managementebenen folgen. Die Peer Group mit den externen Expertinnen und Experten entscheidet unabhängig, welche Schritte sie für richtig hält und sie tauscht sich untereinander aus. Am Ende präsentiert sie das Ergebnis gegenüber dem Management. Das Evaluationsteam hat während der Zeit viel zu tun, weil es Termine koordiniert, Workshops vorbereitet, Protokolle anfertigt usw. Das Unternehmen profitiert davon, dass es am Ende eine fundierte Einschätzung durch einen Blick von Außen erhält. So können sie ihre Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit steigern, was gerade in Krisenzeiten wichtig ist.

Das Beispiel, was ich hier im Kopf habe, ist ein Unternehmen, das vor zehn Jahren noch 100 Personen beschäftigte, heute sind es über 600. Das Unternehmen hat sich damals mutig auf das Experiment „Evaluation“ eingelassen. Der Erfolg spricht für sich.

Evelyn: Das ist wirklich eine beeindruckende Zahl, die etwas unterstreicht, von dem wir im Bereich der Evaluation ja ohnehin alle überzeugt sind: Gute Programme brauchen gute Planung, Monitoring und Evaluation. Und dabei meine ich „gut“ nicht nur im Sinne eines monetären Erfolgs, sondern auch im Sinne von bestimmten Werten wie etwa der Nachhaltigkeit, die ja in der Evaluation oft auch eine große Rolle spielt. Was könnte denn die Evaluations-Community deiner Meinung nach noch tun, um auch für die Wirtschaft zugänglicher und attraktiver zu werden?

Sonja: Da braucht es vor allem einen langen Atem. Der AK Wirtschaft der DeGEval ist schon seit vielen Jahren aktiv, um Akteure aus der Wirtschaft für die Evaluation zu gewinnen. Mit den verschiedenen Handreichungen, die auf der Webseite der DeGEval runtergeladen werden können, gibt es bereits einen guten Einstieg für Unternehmen. Auch wurden vom Arbeitskreis in den vergangenen Jahren diverse Veranstaltungen durchgeführt, die den Nutzen der Evaluation im Wirtschaftskontext vermittelt haben. Doch in der Tat ist es nicht so einfach, aus der Evaluations-Community heraus den Privatsektor anzusprechen.

„Trotz der beschriebenen Widrigkeiten bleibe ich auf jeden Fall zuversichtlich, dass die Evaluation ihren Weg in die Wirtschaft findet. Ganz im Sinne von: ‚Qualität setzt sich durch.'“

Wir haben zwar durchaus ein attraktives „Produkt“, doch noch fehlt die Nachfrage. Wir müssten also noch besser auf uns aufmerksam machen. Ideen dazu gibt es, doch da wir alle als Selbständige oder Angestellte unseren Berufen nachgehen, ist es nur schwer im Alltag umsetzbar, auf verschiedensten Veranstaltungen, Messen oder in Gesprächen mit Verbänden präsent zu sein und bei Unternehmen für die Evaluation zu werben. Auch von der DeGEval als übergeordneter Organisation lässt sich das nicht verlangen. Zum einen vertritt die DeGEval sehr vielfältige Interessen und zum anderen erlauben die im Vergleich zu anderen Fachgesellschaften doch sehr moderaten Mitgliedsbeiträge und die überwiegend ehrenamtliche Tätigkeit in der Gesellschaft keine großen Sprünge. Insofern kann da aus der Evaluations-Community nur in sehr begrenztem Rahmen ein Lobbying erfolgen.

Vielleicht entdecken zukünftig die Unternehmensberatungen Evaluation als „neue Methode“, die sie Unternehmen verkaufen können. Das könnte Schlagkraft erzeugen. So ganz realistisch scheint mir das aber nicht.

Wahrscheinlich müssen wir zukünftig noch sehr viel pragmatischer sein und uns von Evaluation als Marke zumindest vordergründig lösen. Wir würden den Inhalt trotzdem weiter verkaufen, nur in einer anderen Verpackung, indem wir das Produkt anders nennen, wie z.B. Performance-Messung; Nachhaltigkeitsmessung oder Social Impact Analyse.

Ansonsten ist es an uns Evaluatorinnen und Evaluatoren, immer wieder den Weg zu suchen und im eigenen Netzwerk Unternehmen auf die Vorzüge der Evaluation aufmerksam zu machen, am besten indem wir Aufträge generieren. Trotz der beschriebenen Widrigkeiten bleibe ich auf jeden Fall zuversichtlich, dass die Evaluation ihren Weg in die Wirtschaft findet. Ganz im Sinne von: „Qualität setzt sich durch.“

Evelyn: Da bin ich ganz bei dir. Danke dir für das spannende Interview!

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